Mit Handschuhen zur Wahl?
LeserInnenbriefe zum Artikel "Schlimmer geht's immer" in der AJ 2-02
Rudi Homann, LV Sachsen
Was uns Genosse Dieterich unter konsequenter Umgehung jedweder ökonomischer Begründungszusammenhänge an Motiven zur Wahl der SPD angeboten hat, hat das Motto verdient "Schlimmer geht´ nimmer". Mit dieser Analyse dürfte es ihm keine Schwierigkeiten bereiten, einem "Altfalken" wie Sigmar Gabriel nachzueifern. Mindestens jedoch hat er sich ein Fleißwiderkärtchen beim Parteivorstand verdient.
Sicher, alle Jahre wieder sind die Falken und andere Linke, die sich aus durchaus logisch nachvollziehbaren Gründen entschieden haben, ihren Weg in und/oder mit der Sozialdemokratie zu gehen, dazu gezwungen, dem staunenden Publikum mitzuteilen, weshalb man sein Kreuz mit dieser Partei hat, das Gleiche aber bei der Wahl wieder dort anbringen soll. Ich selber gehöre seit langer Zeit auch zu dieser Spezies. Wenn es also schon sein muss, dann aber bitte so, dass nicht der platteste aller Gründe herhalten muss: "Wir wählen halt das kleinere Übel."
Es bleibt nur die Hoffnung, dass dieser Beitrag nicht das durchschnittliche Bewusstsein der gesamten Verbandsführung widerspiegelt. Zum Schluss noch ein Tipp für den Genossen Dieterich. Manchmal hilft es schon, wenn man ein Buch zur Hand nimmt. Mein Vorschlag für den Anfang: Joachim Koch, Weder - Noch, Das Freiheitsversprechen der Ökonomie. Gibt´s bei der Büchergilde Gutenberg.
Florian Heiß, Bezirk Niederbayern/ Oberpfalz
Der von der französischen Linken benutzte Spruch vom "Mit Handschuhen zur Wahl gehen" (Aufruf eines französischen Bündnisses zur Verhinderung von Le Pen) sprach sicher auch einigen GenossInnen hier im Verband aus dem Herzen. Die fehlende "Trennschärfe der konkreten Alternativen" (Veit Dieterich) war nicht nur bei uns Falken der Grund, nicht völlig klar Stellung beziehen zu können. Sieht man sich z.B. die Wahlergebnisse bei den Gewerkschaftsmitgliedern und deren Abwanderung zum schwarzbraunen Stoiber an, wird eine von der Sozialdemokratie mitverschuldete Alternativlosigkeit in der Bevölkerung und vorneweg der Arbeiterbewegung deutlich. Mitverschuldet aufgrund neoliberaler Politik, arbeitnehmerfeindlicher Sparpakete und Gesetze, militaristischer Außenpolitik.
Und auch mitverschuldet von eben jenen Sozialdemokraten, die jegliche Kritik an der SPD als "Steilvorlage für die Schwarzen" und unloyal betrachten. Natürlich wäre es ein Desaster, Erfolge sozialdemokratischer Politik zu verschweigen oder als Makulatur abzutun, aber diese Erfolge müssen auch konkret vorhanden sein. Die Sozialdemokratie erreicht mit ihrer fehlenden Abgrenzung zur konservativen Politik das Abwandern immer mehr arbeitender Menschen von ihr, und damit die Einladung zu ihrem eigenen Begräbnis. Wir sollten uns ebenfalls nichts vormachen: Mit "Weichspüler-Kritik", dem ständigen hervorheben der angeblich positiven Veränderungen, um uns dann erst zu trauen die Regierung wegen ihrer Schweinereien anzugreifen, werden wir ein ähnliches Schicksal erleiden.
Veit Dieterich zieht die richtige Konsequenz in seinem Artikel. Eine richtige Kritik an der aktuellen Regierung leistet den "Schwarzen" mitnichten Vorschub - aber nur, wenn sie begründet und glasklar daherkommt. Natürlich spricht sich die CDU/CSU verhalten gegenüber einem Einsatz der Bundeswehr in weiteren Ländern aus, aber nur um ihrer Forderung nach noch schärferer Aufrüstung die ja aufgrund der Verzahnung z.B. Edmund Stoibers mit der Rüstungsindustrie nicht von ungefähr kommt) Nachdruck zu verleihen. Unsere Kritik ist anders geartet: Wir wollen gar keine Bundeswehr im Ausland und stellen uns gegen jegliche Aufrüstung.
Die dritte wichtige Konsequenz die Veit in seinem Artikel zieht, ist die Feststellung, dass es uns nicht egal sein kann, wer die Bundesrepublik regiert. Als sozialistischer Jugendverband der tagtäglich politisch arbeitet, verbinden wir doch das Abgeben des Wahlzettels nicht mit dem Ende der politischen Auseinandersetzung. Von den Unterschieden zwischen SPD und CDU/CSU, die der Artikel sehr gut darstellt, mal abgesehen, dürfte eine bessere Ausgangslage für unseren Kampf unter einer sozialdemokratischen Regierung unbestritten sein. Welch bessere Beweise könnten wir geliefert bekommen, dass ein Umkehren zu sozialistischen Werten, ein Umkehren zur Feststellung, dass eine andere Gesellschaftsordnung nötig ist, unumgänglich ist? Es ist eben überhaupt nicht egal, wer an der Regierung ist - wenn man den politischen Kampf sich traut zu führen.
Ekke Schröder, OV Darmstadt
Es ist immer wieder bedauernswert, wie linke Sozialdemokraten krampfhaft nach Gründen suchen, ihrer Partei die Treue zu halten. Schon vor vier Jahren war abzusehen, dass nichts ?anders, aber vieles (angeblich) besser? (G. Schröder) wird, außer dass es besser gelingt, soziale Bewegungen einzubinden und zu neutralisieren.
Das Ergebnis war die Regierung, die wir in hirnloser Euphorie wohl auch verdienten: Eine grüne Partei, die lediglich noch für den alternativen Akademiker und Ökobauern attraktiv sein dürfte, und eine Sozialdemokratie, welche einen Verteidigungsminister hatte, der den massivsten bundesdeutschen Militäreinsatz nach dem 2. Weltkrieg mit umstrittenen und reichlich ungewöhnlichen Interpretationen der Ereignisse rechtfertigt. Eine Sozialpolitik, welche Versprechen nicht einhält (Arbeitslose) und stattdessen die Betroffenen diffamiert und das Sozialsystem demontiert (Riester-Rente, Ökosteuer). Auch von Rechtpopulismus versteht der Kanzler was, er forderte auch schon mal ?raus, aber schnell?. Aber die SPD hat gelernt: Versprochen wird für die Zukunft nicht viel außer Hartz, im Klartext: Mehr Zumutbarkeit und Entsolidarisierung für Arbeitslose. Was die von der CDU/ CSU zitierten Vorhaben und Ideologien angeht (z.B. Geopolitik, Kontakte zu Rechtsradikalen usw.), solche Papiere gibt es auch in den Ideologieschmieden der Sozialdemokratie, bei den Grünen und ihnen nahestehenden Gruppierungen.
Der Verband sollte sich vom Feindbild Stoiber nicht erpressen lassen. Solange wir sie brav wählen, egal was sie machen, gibt es keinen Grund für sie, auch nur so zu tun, als ob sie wirklich etwas anderes wollen als Stoiber (abgesehen davon, dass sie sich um Kleinigkeiten streiten um des Streitens Willen und nicht der Sache). Anstatt sich in Wahlkämpfen zu verschleißen, wäre es sinnvoller, unsere Kompetenz und Energie dahingehend einzusetzen, junge politisch interessierte Leute heranzuziehen und auszubilden, um hier eine Perspektive für eine relevante Linke zu schaffen und auszubauen.